Schon wieder ein Jahr vorbei? Sollen schon wieder zwölf Monate betrachtet werden? Die Turbulenzen außerhalb des eigenen Vereins- und Tierheimdunstes lassen wir aber weg. Erstmal. Denn wie wir hören, sind wir eine Ausnahme. Unserem Tierschutzverein geht es gut und seinem Tierheim auch. Die Sonne versinkt und nimmt den Sorgenrest mit. Im Fernsehen läuft eine André-Rieu-Show. Das ist der mit der Löwenfrisur und der Geige im Anschlag. Donauwalzer und so. Das Publikum ist verzückt und tanzt. Das lenkt beim Schreiben immer ab.
Unsere Besucher sind anders. Wenn Schulferien sind, stehen sie mit den Kindern oder Enkeln vorm Tor und wollen Tiere gucken. Die Großen sind des Einlasses sicher. Widerspruch hier kann nicht sein. In den Blicken der Kleinen strahlen Vorfreude und hast du nicht gehört, was meine Mama gesagt hat? Leider, heißt es aber, das ist hier nicht möglich. Wie, nicht möglich? Wir wollen doch nur gucken. Dafür gibt es den Zoo. Unsere Tiere reagieren auf Fremde ängstlich und nervös. Die meisten Tiere in den Heimen sind Problemtiere. Die brauchen Ruhe und vertrautes Personal. Aber wozu habt ihr Öffnungszeiten? Wir haben keine Öffnungszeiten. Aber die stehen doch im Internet! Ihr seid ein komisches Tierheim. Unser Vorstand denkt, aber Gott lenkt. In Wahrheit ist ER das Internet.
Ein Opa steht vorm Tor. Stützt sich auf einen Stock. Will mich mal umschauen, was ihr für Hunde habt, spricht er. Wenn einer auf mich zukommt, nehme ich ihn mit. Am liebsten wäre mir ein Welpe. Das geht so nicht, hört er. Wieso nicht? Früher war das anders, da bin ich ins Tierheim, habe einen Hund ausgesucht und ihn mitgenommen. Bewegung brauchen die? Haben sie mit mir, ausreichend. Oder eine Oma kreuzt auf. Geschätzt 85. Wie immer am Freitag war sie beim Friseur. Die silbernen Locken brauchen zum Glanz keine Sonne. Im SUV wartet die Enkelin. Die gewellte Dame möchte ein Kätzchen. Ein Maikätzchen aus diesem Jahr, ein hübsches, ein liebes. Es soll kuscheln mit ihr auf der Couch. Und Auslauf? Bekommt das Kätzchen Auslauf? Ich habe doch einen Balkon, kommt es wirsch.
Die Einsichtigen lassen sich einladen. Zum Tag der offenen Tür, zum Sommerfest oder zum Weihnachtsfest für unsere Tiere. Bevor sie sich zu Kuchen und Kaffee, Eis, Waffeln, ans Feuer mit Stockbrot oder Spiel und Spaß mit den Jüngsten begeben, folgen sie in Scharen den Fersen unseres Vereinschefs übers Tierheimgelände. Es geht auch durch Gemäuer mit marodem Charme. Behaltet die Bilder, die ihr hier seht, im Hinterkopf, sagt der immer. Bei Vergleichen ist Vorsicht am Platz. Ja, an manchen Stellen erinnert es an Krieg. Doch auf dem Tierheimareal waren nur Vandalen und Diebe am Werk. Die Bilder aber sind ähnlich.
Vorher, nachher. Die Kolonne ist im einzigen bisher sanierten Haus angekommen. Ah, oh. Bitte nicht zu dicht an die Hundeausläufe und bitte nicht die Hände an die Zäune halten, wird höflich gewarnt. Denn der niedliche Balou knipst wie ein Eisenbahnschaffner. Egal wohin. In einen Schuh oder in eine Hand. Ein Knirps schreitet mit ausgestrecktem Zeigefinger an die Umzäunung. Die Mutti ist amüsiert.
Drinnen, im Haus, wird festgestellt: Dafür bekommt ihr doch Unterstützung von der Stadt und vom Land. Schön wär’s. Die Landes- und Stadtgrößen sonnen sich gern darin, was da so glänzt. Neulich war der Fraktionschef einer regierenden Landespartei in unserem Tierheim. Das ist so toll, was hier entstanden ist, sprach er. Und wie er helfen könne, das Tierheim auszubauen, weitere Häuser zu sanieren. Es gäbe doch Fördermöglichkeiten. Die kennen wir. Jedes Jahr stellen wir Anträge. Blöd nur, unser komisches Tierheim passt zu keiner der Förderrichtlinien. Die werden weit weg von den Gegebenheiten bei uns oder anderen Tierheimen erdacht. Und die auszufüllenden Pamphlete und zusammenzutragenden Nachweise sind immer dieselben. Ein irrer bürokratischer Aufwand. Der Fraktionsvorsitzende staunt über die ihm vorgelegten Papiere. Aber er möchte abschließend noch eine Pose mit Kätzchen für Instagram. Oder war es Facebook? Egal, das war wichtig.
Manchmal, wenn die kunstvoll geformten oder breiigen Hundehaufen weggeschippt sind, das Katzenpipi aufgewischt ist, Frischluft durchs Haus weht und die Mäulchen und Schnauzen das Frühstück aus den Näpfen schmatzen, sind neue Aktionen unser Thema. Dazu gibt`s Kaffee. Wozu haben wir den Personalraum. Eine geniale Einrichtung. Nirgendwo sonst kommen uns bessere Ideen, wie wir die Leute aus der Reserve kriegen. Wie wir sie mitnehmen können, heißt es jetzt. Man könnte, man sollte… Wir hatten mal ein rosa Sparschwein, in das jeder einen Euro stecken musste, der seine Gedankengänge so beginnend aus dem Mund kullern ließ. Wir sind von der Methode abgekommen, weil sie bei den meisten von uns an die finanzielle Substanz ging. Jetzt denken wir einfach mittendrin weiter. Ja, machen wir Feste für unsere Tiere. Im Frühjahr, im Sommer, im Winter. Neue Flyer wären nicht verkehrt. Und eingeschweißte Dankesposter für die Spenden. Arbeitseinsätze auf dem Tierheimgrundstück – die sind genauso wichtig. Wer kümmert sich um was? Es muss für jeden Zustand einen Zuständigen geben. Der Vorsitzende hat die Eigenheit, laut zu denken. Feste sind prima, sagt der und rechnet nüchtern vor: 300 Besucher kommen mit mindestens 100 Autos. Wo sollen die hin? Und was, wenn 20 Leute auf einmal aufs Klo müssen, weil sie zu viel Kaffee intus haben?
Immer, wenn es spannend ist, klingelt das Telefon. Die Tierheimchefin geht ran. Ihr Hund muss ins Tierheim? Warum? Er beißt? Wie alt ist er? Ist er geimpft? Hat er Krankheiten? Das wissen Sie nicht? Woher haben Sie ihn? Ebay? Also haben Sie auch keinen Vertrag mit dem Vorbesitzer? Wir können helfen, vielleicht in zwei bis drei Wochen, dann könnte ein Platz frei sein. Es muss aber morgen sein, es ist dringend, mein Mann hat eine Hundeallergie, hört die Chefin. Frühestens in zwei bis drei Wochen wiederholt sie. Und rechnen Sie bitte damit, dass Sie dafür bezahlen müssen, in Ihrem Fall 500 € aufwärts. Waaaas? Ihr seid doch der Tierschutz! Dafür seid ihr doch da! Lieber Gott, wann endlich schaltest du dein Bankkonto für uns frei? Wir sind der Tierschutz und sollen die Arbeit und auch noch die Kosten tragen.
Die Zeit rinnt uns durch die Finger. Unsere Wünsche und Vorhaben immer mit. Aber wir wollen doch das nächste Haus sanieren. Seit Monaten haben wir Schwindelgefühle. Für Baumaterial werden astronomische Summen verlangt. Die Baufirmen fügen sich gern, weil sie wissen, ein so einladendes Trittbrett wird es nie wieder geben. Aber wir warten ab. Und fragen: Wer hilft uns? Die wirkliche Erfahrung unseres Vereins: niemand. Schon gar nicht jemand aus der Politik. Die trompeten nur. Das Dilemma ist, wir Tierschutzvereine und Tierheime haben keine Lobby. Die Multikonzerne machen das gut. Sie führen die Fäden wie beim Kasper. Scholz, Habeck, Baerbock, Lindner und Woidke tanzen fröhlich. Und zeigen auf Özdemir. Der hat sich bei seinem Besuch im Tierheim Falkensee aber schon verausgabt. Die Falkenseer können ihr Glück noch immer nicht fassen. Wir in Potsdam sind ein bisschen neidisch. Aber vielleicht kommt auch zu uns mal einer, der was zu sagen hat. Sollen wir darauf warten? Dann werden die nächsten zwölf Monate wieder vergangen sein.
Günter Hein
Foto: privat